Grußwort zum 20-jährigen Bestehen „Tageshaus gGmbH“ in Bielefeld

Am 25. September feierte das Tageshaus Bielefeld sein 20-jähriges Bestehen. Ich hielt im Rahmen der Festveranstaltung folgendes Grußwort:

Liebe Gäste,

 

Es ist eine Premiere für mich, bei einer Veranstaltung wie dieser ein Grußwort zu sprechen. Es ist vielleicht auch nicht ganz einfach, gerade als sehr junger Mensch so was auszuprobieren in einer Institution, wo es primär ums Alter geht. Deshalb hab ich zunächst versucht, etwas Schönes zum Thema älter werden zu finden.

Gesucht und gefunden habe ich Franz Kafka, der geschrieben hat: „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“

 

Dieser Satz hat mich beeindruckt. Denn er zeigt uns: Für das Zusammenleben in einer Gesellschaft geht es nicht darum, wie alt oder jung ein Mensch ist, was er sein Leben lang gemacht und erreicht hat, sondern es geht darum, das zu erkennen, was das Leben lebenswert macht – und zwar in jedem Lebensabschnitt.

 

Dazu gehört sicherlich, dass ältere und jüngere Menschen Wege und Räume bekommen, sich wieder zu finden. Denn oft wird – gerade in der Politik – diskutiert, als gäbe es einen großen Gegensatz zwischen Alt und Jung, könnte man uns Menschen nur wegen unseres Alters gegeneinander ausspielen.

 

Bei der Generationensolidarität geht es aber nicht darum, ob junge Politiker schreien „Alte, gebt den Löffel ab!“ oder sich gegen Rentenerhöhungen aussprechen. Sondern es muss darum gehen, dass jeder Mensch in jeder Phase seines Lebens – und sei das auch noch zu schwierig – selbstbestimmt leben kann. Das heißt: nur weil jemand gesünder oder jünger ist, darf er alten Menschen nicht vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben.

 

Im Leitbild des Tageshauses wird der Anspruch formuliert, alten dementiellen Menschen „ein Leben in häuslicher Umgebung zu ermöglichen und das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Menschen zu schützen und zu erhalten“. Mit diesem Anspruch lässt sich über Alter reden, ohne in Debatten zu verfallen, dass früher alles besser war, als es noch andere Familien- und Gesellschaftsstrukturen gab. Wichtiger ist es, darüber zu sprechen, wie wir uns aufstellen müssen, um auf diese Veränderungen als Gesellschaft zu reagieren.

 

Dafür braucht es Institutionen wie das Tageshaus, wo gezeigt wird, dass Pflege für Alte und Kranke nicht heißt, den Menschen zu verwalten, sondern dass das auch im partnerschaftlichen Miteinander funktioniert.

 

Das alles fordert Zeit – und ich muss sagen, als ich mich auf diese Feier vorbereitet habe, war es dieser Punkt, der mich stark ins Nachdenken gebracht hat. Dass unsere Gesellschaft sich keine Zeit mehr für alte Menschen zu nehmen scheint, sondern dass die Hilfen, die alte Menschen mit Sicherheit brauchen, nach ökonomischer Logik behandelt und Pflege und Zuneigung zu Rechengrößen degradiert werden.

 

„Den Menschen in seiner Würde schützen“ haben Sie im Leitbild für das Tageshaus formuliert. Wahrscheinlich ist das der größte Auftrag, den ein politischer Entscheidungsträger von hier mitnehmen kann. Dass das Gesundheitssystem wieder menschlich werden muss, und vor allem, dass es das auch werden kann, zeigt dieses Haus. Zu dieser Menschlichkeit gehören auch – das habe ich auf einem Ihrer Poster gelesen und es hat mir wahnsinnig gut gefallen – ausschlafen, Kuchen und Rotwein.

 

Und es ist schließlich genau das, was ich mit Generationensolidarität meine: Alle Generationen nehmen sich Zeit für einander, sind für einander da, wenn man sich braucht. Mir ist es wichtig, dass unsere Gesellschaft die Lebensleistung alter Menschen anerkennt, und das zeigt sich nicht in Anerkennung für „anfassbare“ Erfolge im Leben, sondern das zeigt sich darin, mit welchem Respekt man alten Menschen im alltäglichen Miteinander begegnet.

 

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen, dass das Tageshaus alt wird und ein Raum bleibt, in dem im Mittelpunkt steht, das Schöne zu erkennen und zu erhalten.

 

Vielen Dank.

 

 

 

 

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