Die Sucht heißt Leben

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung irrlichtert wieder einmal. Nicht, dass das etwas substanziell Neues wäre. Neu ist lediglich, dass es diesmal nicht um Cannabis oder angeblich komasaufende Jugendliche geht. Diesmal hat sich Frau Dyckmanns das Internet vorgenommen. Und eine halbe Million Menschen für internetsüchtig erklärt.

 

Um eins vorweg zu sagen: Es gibt tatsächlich schwierige Felder, die man auch nicht unbedingt verharmlosen sollte. Massively Multiplayer Online Role Playing Games wie zum Beispiel das oft diskutierte World of Warcraft haben ein gewisses Suchtpotenzial, was Spielverlauf und –konzept, sowie insbesondere die starke soziale Einbettung der Spielerinnen und Spieler durchaus begünstigen. Deshalb ist es auch sinnvoll – und auch GRÜNE Forderung im Wahlprogramm gewesen -, dass das Suchtpotenzial in der Alterseinstufung berücksichtigt werden sollte. Hier wäre ein sinnvolles Feld für wirksamen und der Netzrealität angemessenen Jugendschutz – wobei dessen konkrete Ausgestaltung nach der Auseinandersetzung um den JMStV im vergangenen Jahr durchaus Gegenstand von Diskussionen sein sollte (auch wenn hier tendenziell eher das Jugendschutzgesetz greift). Aber das ist für diese Bundesregierung nicht griffig und sexy genug. Nach der meisterhaften Idee von Frau Aigner, Facebook mit der Löschung ihres Profils zu drohen (!), kommt jetzt die Internetsucht als weiteres politisch kreiertes Problem.

 

Denn es wäre zu sinnvoll gewesen, wenn Frau Dyckmanns sich eines tatsächlichen Problems angenommen hätte. Stattdessen greift sie auf einen fachlich unsinnigen, aber für die öffentliche Debatte umso griffigeren Begriff der „Internetsucht“ zurück.

 

Das ist ein derart hanebüchener Quark, dass eigentlich alle, die zuweilen mal einige Computer mit einem Kabel verbinden, durch die digitale Decke gehen müssten. Wie um alles in der Welt soll man bitteschön vom „Medium“ Internet „süchtig“ werden? Klar, es gibt in der Studie, auf die sich Frau Dyckmanns bezieht, eine Definition für diese „Sucht“. Man muss mehr als vier Stunden online sein und „reale“ Kontakte vernachlässigen.

 

Hier kommt mal wieder zum Ausdruck: Die Bundesregierung im Allgemeinen und offensichtlich ihre Drogenbeauftragte im Speziellen glauben, dass das Internet an sich schlechter ist als das Real Life. Oder bildlich gesprochen: Dass der Chat via Facebook „böser“ ist als das Bier in der Hafenkneipe, dass Farmville „schlimmer“ ist als Käsekästchen im Unterricht oder dass das Ausfüllen eines Überweisungsträgers auf Papier „besser“ ist als Online- Banking.

 

Die Bundesregierung hat nicht verstanden, dass das Netz eben kein „Medium“ ist, sondern ein Sozialraum. Dass nun Frau Dyckmanns von realen Problemstellungen ablenkt und stattdessen widersinnige Netzesoterik in die Welt bläst, ist fahrlässig. Einer der zahlreichen Kommentare hierzu kam von der taz und bringt die Sache auf den Punkt: „Die neue Sucht heißt Leben!“.

 

So ist das nämlich.

 

 

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