Rede zu Tempora und Prism

Plenarrede am 10.7.2013 zum Piraten-Antrag „O Tempora, O Mores“

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Biesenbach, Sie haben gesagt, wir hätten noch nicht die Antworten. Genau das ist das Problem – weil nämlich die Bundesregierung nicht bereit ist, diese Antworten einzufordern.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Wir sind uns, meine Damen und Herren, weitgehend einig – das habe ich aus den Debatten der letzten Wochen mitgenommen –, dass die Programm Prism und Tempora massive und unverhältnismäßige Eingriffe in die Grundrechte der Bevölkerung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen darstellen. Es wäre gut, wenn diese breite Empörung, die sich angesichts dieser massenhaften und anlasslosen Ausforschungen in der Bevölkerung breit macht, auch hier in diesem Haus breit getragen würde. Herr Biesenbach, da habe ich nach Ihrer Rede gewisse Zweifel, was Sie tatsächlich für ein Interesse an Aufklärung in diesem Bereich haben.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Liebe Kollegen und Kollegen, es wird gefühlt wirklich jeden Tag schlimmer. Meine Vorredner haben schon einiges genannt. Es hat mit Prism angefangen. Dann haben wir uns mit Tempora beschäftigen müssen, dann kam das Programm des französischen Geheimdienstes. Die schlechten Nachrichten, wer alles auf bisweilen zweifelhafter Grundlage unsere informationelle Selbstbestimmung missachtet, nehmen kein Ende. Das muss man sich klar machen, wenn wir hier und heute debattieren. Ich fürchte, die Spitze des Eisbergs ist da noch lange nicht erreicht.

In einer solchen Situation ist es notwendig, klar zu sagen: Die Vorwürfe und Vorgänge, die hier im Raum stehen – Herr Biesenbach, Sie haben nicht unrecht –, sind teilweise Dinge, bei denen es noch Klärungsbedarf gibt, völlig klar. Da würde ich auch nicht widersprechen. Nur: Man muss eben die Bereitschaft mitbringen, diese Aufklärung herbeizuführen. Denn diese Vorwürfe sind unter Freunden, unter Partnern, wie es die Bundesrepublik, wie es die Vereinigten Staaten und auch Großbritannien sind, völlig unakzeptabel, falls sie sich bewahrheiten. Es ist gut, wenn der Landtag des größten deutschen Bundeslandes heute in aller Deutlichkeit eine Botschaft in dieser Hinsicht sendet.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Diese Deutlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermisse ich bei denjenigen, die sie eigentlich äußern müssten. Wir erleben hier in vielerlei Hinsicht einen großen Angriff auf unsere Grundrechte, auf das Fundament unserer Freiheit. Und die Bundesregierung bewegt sich einfach nicht. Mein Eindruck ist: Der Bundesinnenminister, der für unsere verfassungsmäßigen Rechte einstehen müsste, ist schlicht und ergreifend überfordert und deshalb untätig. Und die Kanzlerin? Von ihr hört man seit ihrer Flucht nach „Neuland“ kein Wort mehr – kein Wort zum Datenaustausch, kein Wort zum BND. Ich weiß nicht, ob die Bundeskanzlerin überhaupt bereit ist, in dieser Affäre zur Aufklärung beizutragen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Es ist nichts Schlimmes, unter Freunden und unter Partnern schwierige Dinge anzusprechen – im Gegenteil. In einer guten Partnerschaft – die transatlantische Partnerschaft ist eine Partnerschaft, die sich in vielen Jahrzehnten und auch schon in schwierigen Situationen bewährt hat, zu der wir auch stehen – muss es möglich sein, in aller Offenheit die Fragen zu klären, die sich jetzt stellen. Dazu braucht es Mut und Willen, und bei der Bundesregierung fehlt beides.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Ich möchte auf einen weiteren Aspekt eingehen, auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Das ist auch im ursprünglich zugrundeliegenden Antrag angesprochen. Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ergibt sich nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht – Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Zusätzlich haben wir Regelungen in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Ich will auch erwähnen, dass diese Rechte nicht irgendwo herkommen, sondern sie kommen daher, dass es Menschen gab, die sie eingefordert haben. Ich finde, wir hier in Deutschland mit dem hohen Datenschutzbewusstsein – das gilt auch in vielen anderen Staaten Europas – können tatsächlich stolz auf das sein, was in den letzten 30, 40 Jahren erreicht wurde. Ich bin auch stolz darauf, dass meine Partei – Stichwort „Volkszählungsproteste“; viele von Ihnen werden sich daran erinnern – intensiv daran beteiligt war.

Ich glaube, das, was großes Befremden in der Bevölkerung ausgelöst hat, war die Tatsache, dass alles das, was wir hier an Überwachungsaktionen im Rahmen von Prism und Tempora erleben, von einem Geheimgericht, jeder demokratischen Öffentlichkeit entzogen, angeordnet worden ist. Und das geht einfach nicht.

Es gibt natürlich ein legitimes Sicherheitsinteresse für die Bürgerinnen und Bürger. Wenn dabei aber in Grundrechte eingegriffen wird, dann muss das – und das ist der springende Punkt – auf einer klaren gesetzlichen Grundlage geschehen. Und diese klare gesetzliche Grundlage ist die Garantie dafür, dass es ein parlamentarisches und ein öffentliches Verfahren gibt. Und das ist tatsächlich entscheidend.

Es darf nicht unverhältnismäßig sein, es darf keine anlasslose und uferlose Überwachung geben. Es darf nicht alles gespeichert, getauscht und weitergegeben werden. Der Grundsatz für Nachrichtendienste darf niemals lauten: Der Zweck heiligt die Mittel, der Zweck heiligt die Sammlung von Informationen.

Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.

Matthi Bolte (GRÜNE): Das alles muss angepackt werden. Ich hoffe, wir können heute ein starkes Signal dafür setzen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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