Bericht von der Anhörung zur Netzneutralität: „Zwei-Klassen-Internet verhindern“

Die Pläne einiger Internetdienstleister, den Grundsatz der gleichberechtigten Übertragung von Datenpaketen im Internet (Netzneutralität) aufzugeben, bedrohen das freie Internet und können zu einem Zwei-Klassen-Internet führen. Dies zeigte die Anhörung von Sachverständigen am 10.Oktober 2013 zum Thema „Netzneutralität“ im Ausschuss für Kultur und Medien im Landtag von Nordrhein-Westfalen.

Die übergroße Mehrheit der Sachverständigen teilte das Ziel des diskutierten Antrags der Landtagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Netzneutralität gesetzlich festzuschreiben. Rot-Grün hatte diesen Antrag im Mai in den Landtag eingebracht, nachdem die Deutsche Telekom im Rahmen ihrer Tarifstrukturreform angekündigt hatte, künftig eigene Dienste innerhalb der neuen Volumentarife zu bevorzugen. In der Anhörung wurde mehrfach ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass das Aushöhlen der Netzneutralität zu einem Zwei-Klassen-Internet führen könnte, was, so die Mehrheit der Sachverständigen, unbedingt verhindert werden sollte.

Die Bewertung sogenannter „managed services“ und Qualitätsklassen fiel unterschiedlich aus. Insbesondere, die Frage, ob durch sie grundsätzlich die Netzneutralität gefährdet werde, wurde unterschiedlich bewertet. Dies sei unter anderem auch, wie Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft e.V. ausführte, im Fehlen einer einheitlichen Definition von Netzneutralität begründet.

„Netzneutralität ist existenziell für Projekte wie Wikipedia“

Matthias Schindler, Sachverständiger von Wikimedia Deutschland, führte aus, dass sich Wikipedia kurz nach dem Start 2001 keine managed services hätte leisten können. Für Schindler ist Netzneutralität keine Frage von Gewinn und Verlust, sondern eine Frage der Kontrolle, wer Zugang haben dürfe und wer nicht.

Marcus Isermann von der Deutschen Telekom bezog in der Anhörung Stellung zu ihren Plänen und der Kritik daran. Die Deutsche Telekom stehe für ein freies Internet und wolle nicht den Zugang dazu einschränken. Es müssten sich neue Geschäftsmodelle entwickeln lassen, denn moderne Netze und Investitionen in den Breitbandausbau müssten refinanziert werden. Dazu bräuchte die Telekom, wie Isermann ausführte, auch ein höheres Preisniveau. Deshalb seien auch Inhalteanbieter und Vielnutzer an den Kosten des Ausbaus zu beteiligen. Die Frage, wie ob sich Breitbandausbau und Netzneutralität widersprechen oder gar ausschließen, wurde kontrovers diskutiert. Marcus Isermann von der Deutschen Telekom bezeichnete beides gar als „zwei Seiten einer Medaille“.

„Drosselung ist Rückfall in die Zeit des Dial-Up-Modems.“

Der Sachverständige Jörg Blumtritt als Vertreter der Kreativwirtschaft legte in seiner Stellungnahme zum Verhältnis Breitbandausbau-Netzneutralität dar, dass „managed services“ und Diskriminierung anderer Dienste keinen Anreiz setzten, in Infrastruktur zu investieren. Verpflichtende Netzneutralität sei hingegen ein Anreiz, dass Access Provider wie die Telekom für ausreichende Kapazitäten sorgen würden, damit sie hochwertige Dienste anbieten kann. Dieser Einschätzung schlossen sich weitere Sachverständige an.

Blumtritt führte weiterhin aus, wie wichtig gerade für Kreative der Zugang zum freien Internet sei. Beispielsweise die Video-Branche werde immer mehr zu einem echten Wirtschaftsfaktor für NRW und sei auf neutrale und ungedrosselte Internetzugänge angewiesen.

Thomas Bradler von der Verbraucherzentrale NRW bemängelt, dass der Begriff „Internet-Flatrate“ oft irreführend sei, wenn es sich um einen Volumentarife mit anschließender Drosselung handele. Deshalb gehe die Verbraucherzentrale gerichtlich gegen diese Bezeichnungen und Drosselung vor. Prof. Dr. Bernd Holznagel LL.M. vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster zeigte auf, dass der Best-Effort-Bereich nicht unter der Einführung von Qualitätsklassen leiden dürfe und gesetzliche Mindeststandards geschaffen werden müssten. Die Drosselung von Anschlüssen könne gesetzlich verboten oder eingeschränkt werden.

„Interessen der Gesellschaft sind wichtiger als Konzerninteressen.“

Christian Horchert, bekannt als „fukami“ vom Chaos Computer Club wies auf Sicherheitsrisiken hin, die von einem nicht neutralen und gedrosselten Netz ausgingen. Schon heute würde bei nur über das Mobilfunknetz ans Internet angeschlossenen Endgeräten die Software nicht immer aktualisiert werden. Das sei schon jetzt ein Sicherheitsrisko für alle und könnte sich bei einer Ausweitung von Drosselung auf das Festnetz und der Abschaffung der Netzneutralität noch verschärfen.

Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen warnte davor, dass Rundfunk und vergleichbare Telemedien nicht Wirtschaftsinteressen untergeordneten werden, es dürfe wie in seiner Stellungnahme ausgeführte, keine inhaltliche Differenzierung beim Transport von Medieninhalten über das Internet geben.

„Der gleichberechtigte Datentransfer ist ein Erfolgsfaktor des Internets und darf nicht den wirtschaftlichen Interessen geopfert werden.

Aus Sicht des netzpolitischen Sprechers der Grünen im Landtag NRW, Matthi Bolte MdL, lässt sich als Fazit der Anhörung festhalten: „Die Anhörung zeigte deutlich, dass es ein freies und offenes Netz nur mit gesetzlich verankerter Netzneutralität geben kann. Die Teilhabe am Internet zu gewährleisten ist ein zentraler Baustein Grüner Netzpolitik und die Absicherung der Netzneutralität ist hierfür eine der wichtigsten Aufgaben. Die Einführung von Volumentarifen ist an sich noch keine Abkehr von der gleichberechtigten Datenübertragung. Kritisch wird es erst, wenn wie im Falle der Telekom eigene Dienste nicht auf das zur Verfügung stehende Volumen angerechnet und damit bevorzugt werden. Es ist auch Aufgabe einer neuen Bundesregierung, die Netzneutralität in Deutschland und Europa endlich vernünftig abzusichern.

Nicht zu vernachlässigen ist auch der Ausbau einer zukunftsfähigen Infrastruktur. Wir investieren derzeit auch als Land in den Breitbandausbau mit dem ehrgeizigen Ziel, 2018 alle Haushalte in NRW mit 50 MBit/s zu versorgen. Das kann aber nur ein erster Schritt auf dem Weg in zukunftsfähige Netze sein. Die Telekommunikationsanbieter sind mit in der Pflicht, diesen Ausbau zu gestalten. Die Ausbauziele müssen sich aber auch ohne eine Aufweichung der Netzneutralität erreichen lassen. Eine kluge Planung und ein koordiniertes Vorgehen sind hierfür von größter Bedeutung.“

 Herzlichen Dank für diesen Text an Martin van Elten!

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