Blog zur Digital-Reise nach Estland und Finnland

29. Mai 2015

5. Tag: Digitale Infrastruktur und Telekommunikationswirtschaft

Zurück in Helsinki besuchten wir am letzten Tag unserer Digitalreise das finnische Telekommunikationsministerium, das unter anderem dafür zuständig ist, Finnland noch 2015 flächendeckend mit Breitbandanschlüssen zu versorgen. Im nationalen Parlament informierten wir uns über die aktuelle politische Lage in Finnland und beim Verband der finnischen Telekommunikationswirtschaft FiCom lernten wir die Sicht der Wirtschaft auf die finnische Breitbandoffensive kennen.

Digitale Infrastruktur

Im Ministerium für Transport und Kommunikation sprachen wir mit Tanja Müller und Kari Ojala über die finnische Infrastrukturstrategie. Unter der bisherigen Regierung arbeitete das Ministerium vor allem daran, allen Bürgern Zugang zu Telekommunikationsdienstleistungen zu verschaffen und den Markt für Internet Services weiterzuentwickeln. Auch die Regulierung und Entwicklung des Telekommunikationsmarktes ist in Finnland ein großes Thema. Für uns interessant waren vor allem politische Entscheidungen und Entwicklungen seit 2010: Das Ministerium hat eine kluge Förderstrategie für den Breitbandausbau entwickelt, die auch die Kommunen einbezieht. Diese erbringen einen Eigenanteil, der sich an ihrer Leistungsfähigkeit und der vorhandenen Infrastruktur orientiert. Finnland zeigt darüber hinaus, dass eine Universaldienstverpflichtung mehr Wettbewerb und Dynamik im Markt bewirken kann. Die VebraucherInnen profitieren durch eine bessere Versorgung mit schnellem Internet. Zusätzlich braucht es aber auch Transparenz und starke Verbraucherrechte.

Fehlende Digitalkonzepte in Schulen

Im finnischen Parlament trafen wir Jyrki Kasvi, einen Abgeordneten des Grünen Bundes. Er erläuterte uns seine Sicht auf die digitale Entwicklung in Finnland und aktuelle politische Diskussionen. Mit Bedauern stellte Kasvi fest, die digitale Infrastruktur in Finnland sei zwar sehr gut, werde aber nicht flächendeckend genutzt. So seien etwa die Schulen im europäischen Vergleich vorbildlich in ihrer IT-Ausstattung. Es fehle aber an Konzepten, diese auch zielführend im Unterricht einzusetzen. Wie in Deutschland ist aktuell die Vorratsdatenspeicherung ein großes Thema in Finnland. Zwar gibt es dort kein entsprechendes Gesetz, die neue Regierung plane aber eine Wiedereinführung, erklärte uns Kasvi. Weniger umstritten ist in Finnland die gesetzlich garantierte Netzneutralität. Sie sei politisch wie bei den Anbietern breit akzeptiert.

TTIP und finnische EU-Politik

Mit der Vorsitzenden der finnisch-deutschen Parlamentariergruppe, der Sozialdemokratin Tytti Tuppurainen, diskutierten wir anschließend über europapolitische Themen wie das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP. Außerdem erläuterte Tuppurainen uns, dass der Europaausschuss im finnischen Parlament das Recht hat, vor Europagipfeln die politische Linie der Regierung zu erfahren und zu überstimmen. Die Regierung muss sich in diesem Fall an die Entscheidung des Ausschusses halten. Das finnische Parlament hat in der Europapolitik also ein deutlich stärkeres Mitspracherecht als es bei uns in Deutschland der Fall ist.

Breitband aus Sicht der Wirtschaft

Die letzte Station unserer Reise führte uns zum Verband der finnischen Telekommunikationswirtschaft FiCom. Auch im Gespräch mit CEO Reijo Svento stand die Breitbandstrategie im Mittelpunkt unseres Interesses. Der finnische Telekommunikationsmarkt ist grundlegend anders strukturiert als in Deutschland. Statt eines nationalen Telekommunikationsanbieters gibt es etwa 20 regionale Gesellschaften. Ebenfalls beachtenswert: Finnland ist eines der führenden Länder weltweit im Telekommunikations- und Informationssektor. Etwa 40.000 Menschen arbeiten in diesem Bereich. Allein die im FiCom organisierten Unternehmen erwirtschaften etwa 6 Milliarden Euro Umsatz jährlich.

Aus der FiCom-Zentrale geht es für uns jetzt zum Flughafen und von dort zurück nach Düsseldorf. Die fünf Tage in Helsinki und Tallinn haben uns eine Menge Stoff zum Nachdenken und Diskutieren geliefert. Ob digitalisierte Gesellschaft, papierlose Regierung oder Breitband für alle: In Estland und Finnland gibt es vieles, was wir uns auch für NRW vorstellen können. In einigen Punkten, beispielsweise bei Datenschutz und e-Voting, sehen wir aber auch noch Verbesserungspotenzial.


28. Mai 2015

4. Tag: Elektronischer Personalausweis und Datenschutz

An unserem letzten Tag in Tallinn diskutierten wir im Zentrum für Authentifizierungszertifikate für den elektronischen Personalausweis in Estland über digitale Identifizierungsmöglichkeiten, besuchten das staatliche Datenschutzamt und erfuhren, wie in der E-Governance-Academy Führungskräfte aus dem öffentlichen Sektor zu e-governance und e-democracy fortgebildet und beraten werden.

Der digitale Ausweis

Das Zertifizierungszentrum ist die einzige Stelle Estlands, die Authentifizierungszertifikate für den estnischen elektronischen Personalausweis herausgeben darf. Marketingleiterin Sandra Roosna erklärte uns, die dezentralen Systeme in Estland seien die Grundlage des Erfolgs der e-ID. Ohne diesen elektronischen Ausweis könnte die digitale Gesellschaft nicht funktionieren. Ein Internet für alle setze eine digitale Identifizierungsmöglichkeit voraus. Das Zertifizierungszentrum wurde 2001 von zwei Banken und zwei Telekommunikationsunternehmen gegründet. Die Grundlage der digitalen Infrastruktur in Estland schaffen also private Akteure. Da jedoch die Regeln klar und nachvollziehbar seien, sieht Roosna darin kein Problem. Für Estland biete die e-ID weiterhin großes Einsparpotenzial. So könnten weitere 63 Millionen Euro – also rund 50 Euro pro BürgerIn – eingespart werden, wenn der digitale Ausweis vollumfänglich eingesetzt würde.

Datenschutz in der digitalen Gesellschaft

Das nächste Gespräch führten wir mit Viljar Peep, dem Direktor des estnischen Datenschutzamtes. In einer digitalen Gesellschaft sind Datenschutz und Datensicherheit von großer Wichtigkeit, weshalb dem Datenschutzamt eine Schlüsselrolle in Estland zukommt. Die estnische Behörde hat im Gegensatz zur Bundesdatenschutzbeauftragten nicht nur eine Aufsichtsfunktion, sondern muss im Umgang mit sensiblen Daten über Genehmigungen entscheiden. Die Informationsfreiheit wird in Estland jedoch sehr weit gefasst, so müssen beispielsweise Parteien die Daten aller Mitglieder offenlegen. Außerdem fördert die Behörde proaktiv die Datenschutzkompetenz der Bevölkerung. Pro Jahr beantwortet sie zusätzlich etwa 1200 Anfragen und bearbeitet 400 Beschwerden. Die rund 150 jährlichen Aufsichtsverfahren enden jedoch nur selten mit einem Bußgeld.

E-Governance braucht digitale Weiterbildung

In der E-Governance Academy (eGA), einer von der estnischen Regierung, dem UNDP und der Open Society Institute gegründeten Non-Profit-Organisation, begrüßten uns Liia Hänni, Seniorexpertin für e-Demokratie, und Raul Rikk, Direktor für Cybersicherheit. Die Akademie entwickelt und verbreitet Wissen und Best-Practice-Beispiele aus e-governance und e-democracy. Ihr Ziel ist es, den digitalen Wandel für die Weiterentwicklung der Demokratie nutzbar zu machen. So glaubt die eGA, dass lokale e-Government-Strukturen die Basis für e-Government auch auf höheren Ebenen bieten können. Außerdem setzt sie sich für Entwicklung offener Informationsgesellschaften ein. Hierzu berät sie Führungskräfte aus dem öffentlichen Sektor und bildet sie fort. Internationalen Gruppen bietet die eGA verschiedene Programme, um am estnischen Beispiel e-democracy und e-government zu lernen.

Zurück nach Helsinki

Am Nachmittag fuhren wir mit der Fähre zurück nach Helsinki, wo uns die deutsche Botschafterin Dorothee Janetzke-Wenzel empfing. Sie erläuterte uns die politische Situation Finnlands. In dieser  Woche ist es hier besonders spannend, da sich gerade eine neue Regierung konstituiert. Allgemein steht Finnland vor großen demographischen und sozialpolitischen Herausforderungen. Ein besonderes Problem ist die Jugendarbeitslosigkeit, etwa 20 Prozent der jungen Menschen findet keine Arbeit. Die für unseren Besuch besonders relevante Informations- und Kommunikationswirtschaft ist in Finnland nach wie vor hoch angesehen und das Land verfügt über hochqualifizierten akademischen Nachwuchs.

Zum Abschluss unserer Digitalreise stehen morgen Besuche im finnischen Ministerium für Transport und Kommunikation, im Parlament und beim Verband der finnischen Telekommunikationswirtschaft auf dem Programm.


27. Mai 2015

3. Tag: Cybersicherheit und papierlose Regierung

Am Tag drei unserer Digitalreise erfuhren wir nach einem Rundgang durch das wunderschöne Tallinn bei der IT-Sicherheitsfirma Guardtime viel über den Schutz vor Cyber-Attacken und die sicher Speicherung elektronischer Daten. Am Nachmittag lernten wir unter anderem den für IT zuständigen Unterstaatssekretär Estlands kennen und staunten über die vollständig papierlose Arbeitsweise des estnischen Kabinetts »e-cabinet«.

Stadtrundgang durch Tallinns Altstadt

Bei aller Konzentration auf digitale Themen wollen wir auf unserer Reise auch die Stadt Tallinn kennen lernen. Am Vormittag erkundeten wir deswegen das vor fast 800 Jahren gegründete Tallinn bei einem Stadtrundgang.

Guardtime

Gleich nach dem Rundgang durch Estlands Hauptstadt besuchten wir die auf Cybersicherheit spezialisierte Firma Guardtime. Zum Schutz von IT-Infrastrukturen vor Cyber-Attacken und anderweitigem Datenverlust bietet Guardtime Produkte an, die Systeme in Echtzeit auf ihre Funktionstüchtigkeit prüfen. Darüber hinaus entwickelt die Firma digitale Signatursysteme zum Schutz elektronischer Daten. Guardtime versteht Datensicherheit als Wettbewerbsfaktor – und das mit Erfolg. Das Unternehmen wurde 2007 gegründet und beschäftigt heute bereits 70 MitarbeiterInnen an vier Standorten in Europa und den USA. Der CEO Mike Gault sagte in dem Gespräch, dass seine Technologie es unmöglich mache, zu lügen und die volle Transparenz ermögliche. Schutz der eigenen Daten gewährleistet sie nicht, aber die Transparenz, zu sehen, was mit den Daten passiert.

Digitalisierung als gesellschaftliche Leitstrategie

In der deutschen Botschaft erwartete uns anschließend Taavi Kotka, Unterstaatssekretär für IT. Kotka war in der Privatwirtschaft als Programmierer, Software-Entwickler und -Manager sowie Präsident des IKT-Verbands tätig. 2011 wurde er als „Estonian Entrepreneur of the Year“ ausgezeichnet. Taavi Kotka erklärte uns anschaulich, wie die Digitalisierung zur gesellschaftlichen Leitstrategie Estlands wurde und welche Rolle die IKT-Wirtschaft bei der Einführung des E-Governments spielte. Wir sprachen außerdem mit ihm über die genaue Ausgestaltung der Regelungen zum Netzausbau, zu dem der estnische Staat die Telekommunikationsanbieter verpflichtet. Außerdem ein Thema war die e-ID, die heute das Rückgrat alle estnischen E-Government-Systeme ist. Nach anfänglicher Kritik wurde der elektronische Ausweis stetig weiterentwickelt und ist heute funktional und akzeptiert – auch weil die politische Leitentscheidung für eine digitalisierte Regierung und Verwaltung nicht in Frage gestellt wurde.

e-cabinet in der Riigikantselei

Mit Aivar Rahno, dem Leiter des Regierungssekretariats sprachen wir über die vollständig papierlosen Sitzungen des estnischen Kabinetts. Basis dafür ist die Infrastruktur e-cabinet. Im Kern ist e-cabinet eine Datenbank, in der für das Kabinett relevanten Informationen aufbereitet und organisiert sind. Bereits vor der Kabinettsitzung markieren die MinisterInnen digital ihre Position geben an, ob sie zu einem Punkt sprechen möchten. Das spart nicht nur Papier, sondern auch Zeit. So dauern elektronisch vorbereitete Kabinettsitzungen nur 30-90 Minuten, statt wie zuvor vier bis fünf Stunden. Gefasste Beschlüsse werden im Rahmen von Open Government sofort veröffentlicht. Die Effizienz des e-cabinet zeigt, welche Chancen die Digitalisierung bietet. Denn was im estnischen Kabinett funktioniert, kann auch bei uns in NRW in Politik wie Wirtschaft Zeit und Ressourcen sparen. Aus dem e-Cabinett ist auch ein Beteiligungssystem für BürgerInnen hervorgegangen. Im e-Consultation-System haben sie die Möglichkeit, konkrete Stellen in Gesetzesentwürfen zu kommentieren.

Dieses Video erklärt anschaulich, wie die Arbeit im e-cabinet vonstatten geht:

 

Datenschutz und Beteiligung von NGOs

Unser nächstes Gespräch führten wir mit Siim Tuisk, dem ehemaligen Vorsitzenden der Estnischen Regionalorganisation der Nichtregierungsorganisation „The Internet Society“. Er erzählte uns, welche Rolle Datenschutz in der Digitalisierungsdebatte in Estland spielt und wie die estnische Gesellschaft die Digitalisierung nutzt, um sich online am politischen Entscheidungsprozess zu beteiligen.

Grünes Abendessen

Zum Abendessen trafen wir VertreterInnen der estnischen GRÜNEN. Mit dem Parteivorsitzenden Olev-Andres Tinn sowie weiteren Mitgliedern der Parteiführung unterhielten wir uns über ihren letzten Wahlkampf, den sie als außerparlamentarische Opposition mit einem Budget von nur 4.000 Euro, dafür aber mit umso mehr Grünem Idealismus führten. Natürlich sprachen wir mit unseren Grünen Freundinnen und Freunden auch über ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung der estnischen Gesellschaft. Das dezentral strukturierte E-Government befürworteten sie, da es viele Vorteile für die Bevölkerung biete. E-Voting sahen sie dagegen eher kritisch, da es zentral strukturiert sei und so nicht alle Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden können.

Am morgigen Donnerstag informieren wir uns über den elektronischen Personalausweis in Estland und besuchen das staatliche Datenschutzamt sowie die E-Governance Academy, eine Beratungs- und Fortbildungsorganisation für Führungskräfte aus dem öffentlichen Sektor. Abends geht es dann mit der Fähre zurück nach Helsinki.


26. Mai 2015

2. Tag E-Government und digitale Bildung

An unserem ersten Tag in Estland  standen viele spannende Gespräche und Besuche auf dem Programm. Nach einem Briefing durch den Deutschen Botschafter besuchten wir das Präsentationszentrum für Informations- und Kommunikationstechnologie „E-Estonia Showroom“ , das estnische Parlament sowie mehrere Bildungseinrichtungen. Zum Abschluss des Tages sprachen wir mit VertreterInnen der Deutschen Außenhandelskammer über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Estland und NRW.

e-Estonia Showroom

Im Gespräch mit Siret Schutting, Projektleiterin des „e-Estonia Showroom“, lernten wir einige der dort  ausgestellten Innovationen kennen. Außerdem sprachen wir über „Digital Leadership“. In Estland werden digitalen Vorreitern öffentlich zugängliche Räume wie der E-Showroom geboten, in denen sie sich präsentieren und mit der Bevölkerung und potenziellen KundInnen austauschen können. Auch aufgrund solcher Räume herrscht ein technologiefreundliches gesellschaftliches und wirtschaftliches Klima. Ein Thema war auch Estlands Weg zur digitalen Gesellschaft, den wir anhand elektronischer Anwendungen und Produkte aus öffentlichem und privatem Sektor nachvollzogen. Ebenfalls interessant war es, konkrete Anwendungsfälle für E-Government-Dienste und deren zentrale Infrastruktur „x-Road“ kennenzulernen und zu diskutieren.

Riigikogu (estländisches Parlament)

In Riigikogu, dem estländischen Parlament, haben wir uns mit Kalle Palling getroffen. Er ist Vorsitzender der deutsch-estnischen Parlamentariergruppe und des EU-Ausschusses. Mit ihm haben wir u.a. über die estländische ID-Card gesprochen. In dem Gespräch betonte er, wie wichtig es sei, dass die EstländerInnen der Regierung, ihren ÄrztInnen etc. vertrauen, dass diese sorgsam mit ihren Daten umgingen. Außerdem betont er: „Keiner hat bisher bewiesen, dass sie nicht sicher ist.“ Zu den großen Vorteilen der ID-Card zählen laut ihm, dass sie Geld und Zeit spart.

TU Tallinn / Mektory

Unser Nachmittag stand dann ganz im Zeichen der digitalen Bildung. Erster Stopp war die TU Tallinn . Dort trafen wir uns zum Gespräch mit drei ProfessorInnen. Die TU bietet verschiedene Studiengänge im Bereich Governance und Public Management an, beispielsweise „E-Governance“ oder „Cyber Security“. Ziemlich beeindruckend fanden wir die estnischen Strategien zur Förderung des akademischen Nachwuchses im IT- Bereich. Ebenfalls interessant: die aktuellen Forschungsinhalte und -projekte zu E-Government.

Stiftung „Bildung und Informationstechnologie“ (HITSA)

Bei unserem Besuch der Stiftung „Bildung und Informationstechnologie“ (HITSA – Information Technology Foundation for Education) kamen wir mit der Vorstandsvorsitzenden ins Gespräch darüber, wie digitale Kompetenzen im Bildungsalltag erlernt werden können. Die Stiftung ist ein Kooperationsprojekt des estnischen Bildungsministeriums, zweier Hochschulen sowie mehrerer estnischer Telekommunikationsunternehmen. Ihr Ziel ist die Entwicklung von Bildungsangeboten für digitale Kompetenzen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Schnell wurde klar, dass Estland ähnliche Fragen diskutiert wie wir in NRW. Einerseits geht es um Konzepte für die umfassende Vermittlung von Kompetenzen (in Estland lernen etwa bereits GrundschülerInnen programmieren),  andererseits um eine gute Ausstattung mit IT-Infrastruktur, damit Kinder von Anfang an digitale Technologien kennen lernen.

Information Technology College

Im „Information Technology College“ trafen wir den Prorektor und die Leiterin der Abteilung für Bildungsniveau. Das College gilt als Estlands führende Fachhochschule für IT. Seine Stärken sind ein hohes Maß an Praxisbezug sowie enge Partnerschaften mit der TU Tallinn und dem Tallinner Technologiepark „Tehnopol“. International kooperiert das IT-College mit über zwanzig wissenschaftlichen Einrichtungen in anderen europäischen Staaten. Als öffentlich-privates Partnerschaftsprojekt, in dem das estnische Bildungsministerium, die TU Tallinn und die Universität Tartu sowie die estnische Informations- und Kommunikationswirtschaft kooperieren bietet  das IT-College vier verschiedene IT-Studiengänge  mit unterschiedlichen Schwerpunkten an.

Zum Abendessen trafen wir uns mit Vertreterinnen und Vertretern der deutsch-baltischen Handelskammer. Themen waren die Chancen deutscher Unternehmen, die auf den baltischen Märkten aktiv werden wollen. Die AHK bezeichnet die baltischen Staaten als die derzeitigen „Wachstumslokomotiven der EU“. Interessant für uns waren natürlich vor allem die wirtschaftlichen Kontakte nach NRW.

Morgen geht es weiter mit einem Besuch der deutschen Botschaft und des estnischen „E-Kabinetts“. Außerdem treffen wir einen Bürgerrechtsaktivisten sowie VerteterInnen der estnischen GRÜNEN.

Erkenntnisse des Tages

Matthi Bolte: „Der E-Estonia Showroom war absolut beeindruckend – „Fresh Air. And Free WiFi“ wird hier wirklich ernstgenommen. Wichtig für unsere Debatte in NRW wird auch die Erkenntnis sein, dass es nicht immer allein um die beste, schönste oder komplexeste Technologie geht, sondern darum, die beste Lösung für die BürgerInnen zu schaffen. Ich glaube, Projekte wie der elektronische Personalausweis oder die elektronische Gesundheitskarte zeigen, dass genau diese Idee in Deutschland nicht umgesetzt wurde.

 


25. Mai 2015

1. Tag: Breitbandstrategie und IT-Innovation in Helsinki

Den ersten Tag der Reise verbrachte die Delegation mit Gesprächen in Helsinki. Nach der Anreise von Düsseldorf und einem kurzen Briefing durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Botschaft besuchten wir die finnische Regulierungsbehörde Ficora und den Innovationsförderer Forum Virium. Anschließend ging es mit der Fähre weiter in die estnische Hauptstadt Tallinn.

Im Mittelpunkt des Gesprächs heute bei der Ficora stand die finnische Breitbandstrategie. Finnland ist flächenmäßig etwa so groß wie die Bundesrepublik, hat aber nur circa 5,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Auch hier ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur ein großes Thema. Deshalb beschloss das finnische Parlament bereits 2010 ein Grundrecht auf Breitbandversorgung. Diese Grundversorgung wurde damals allerdings mit 1 Mbit/s angenommen und soll erst zum kommenden Jahr auf 2 Mbit/s angehoben werden. Für 2020 wird ein Universaldienst mit 10 Mbit/s angestrebt.

Breitband für alle: Universaldienst und subventionierter Glasfaserausbau

Eine Universaldienstverpflichtung besteht für jene Telekommunikationsunternehmen, die eine bestimmte Mindestversorgung gewährleisten müssen, damit sie am Markt teilnehmen dürfen. Die Ficora erkundet die Marktsituation in unterversorgten Regionen und verpflichtet dann einen oder mehrere Anbieter, die Grundversorgung herzustellen. Kommen sie ihrer Verpflichtung nicht nach, kann die Regulierungsbehörde Bußgelder verhängen.

Interessant ist, dass es seitens der Unternehmen zwar wahrnehmbare politische Widerstände gegen den Universaldienst gab, bisher aber noch in keinem einzigen Fall ein Bußgeld verhängt werden musste. Das hat auch mit der finnischen Marktstruktur zu tun. Statt einem einzigen großen, nationalen (Quasi-)Monopolisten ist der Markt basierend auf etwas mehr als 20 Regionalgesellschaften organisiert, wobei zusätzlich drei große Anbieter (allerdings mit etwa gleichen Marktanteilen) den restlichen Markt unter sich aufteilen. Dadurch entsteht ein gesunder Wettbewerb. Den oftmals von großen deutschen Telekommunikationsfirmen vorgebrachten Vorwurf, dass eine Universaldienstverpflichtung in der Grundversorgung den Ausbau in der Spitze bremse, konnte die Ficora aus der Praxis nicht bestätigen.

Neben der Universaldienstverpflichtung fußt die finnische Breitbandstrategie auf Subventionen für den Ausbau der Glasfaser-Backboneinfrastruktur. Dabei wird gewährleistet, dass Glasfaser bis auf zwei Kilometer an alle Haushalte herangelegt wird. Die weiteren Anschlusskosten (je nach Lage 2.000 – 3.000 Euro) tragen die Bürgerinnen und Bürger, können dies allerdings vollständig steuerlich geltend machen.

Forum Virium: Digitale Innovation wächst vor Ort

Zweite inhaltliche Station war das Forum Virium in Helsinki. Dabei handelt es sich – so die Aussage des Geschäftsführers – um ein selbstständiges „Innovationsunternehmen“ mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 3,5 Millionen Euro Jahresetat. Das Forum versteht sich als „Brückenbauer und Innovator“ für die Stadtgesellschaft und ist als Impulsgeber in die IT-Strategie der Stadt Helsinki integriert. Viele Anwendungen, die im Forum Virium gemeinsam mit den Kooperationspartnern aus Wirtschaft und Wissenschaft entstehen, basieren auf offenen Daten. In Finnland fehlt auch noch eine gesetzliche Grundlage für Open Data, die Stadt Helsinki allerdings hat ihre Datenbestände vollständig geöffnet und schafft dadurch die Basis für mehr Transparenz und – auch kommerziell erfolgreiche – Innovation.

Das Forum Virium wird von IT- und Kommunikationsunternehmen sowie den öffentlichen Sektor getragen. Die Idee des Forums ist es, beide Seiten zusammenzubringen: Städte sollen so auf Dienste zugreifen können, die stärker auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger sowie der Verwaltung eingehen, Unternehmen sollen mit innovativen Kräften zusammengebracht werden und sich dadurch erneuern. Über allem schwebt die Idee einer offenen Demokratie, aber auch technologischer Offenheit.

Nächste Etappe: Tallinn


Auf der Fähre von Helsinki nach Tallinn

Die estnische Hauptstadt gilt als ein Hotspot der Digitalisierung. Der zweite Tag führt uns – nach einem Briefing in der deutschen Botschaft – zu folgenden Orten: zum »E-Estonia Showroom«, in das estnische Parlament Riigikogu, die TU Tallinn, das IT-College und zur Stiftung »Bildung und Infotechnologie«.

Erkenntnisse des Tages

Martin Sebastian Abel: »Helsinki hat eine beeindruckende Open Data Strategie. Dadurch werden demokratische  Partizipationsmöglichkeiten und Innovationen ermöglicht. Die Stadt und die Bürgerinnen und Bürger haben mit Forum Virium eine gute Beratung und Infrastruktur zur Umsetzung.«

Matthi Bolte: »Die finnische Digitalisierungsstrategie zielt auf „Breitband für Alle“. Dafür schafft Finnland einen guten und durchdachten Regulierungsrahmen mit einer Universaldienstverpflichtung – und die Unternehmen tragen die Ziele mit. Es ist Zeit, dass auch die deutsche Bundesregierung ihre Untätigkeit in der Breitbandpolitik aufgibt!«


Die Digitalisierung ist eine Herausforderung, bietet jedoch vor allem viele Chancen für die Menschen und die Wirtschaft an Rhein und Ruhr. Wir GRÜNE wollen, dass NRW digitaler und dadurch zukunftsfähiger wird. Auch für eine effizientere, bürgerfreundlichere und ökologischere Verwaltung eröffnet die Digitalisierung durch den Aufbau bürgernaher E-Government-Strukturen neue Möglichkeiten. Um diese Chancen ergreifen zu können, braucht es eine verlässliche und schnelle digitale Infrastruktur. Bis 2018 wollen wir ganz NRW mit schnellem Internet versorgen. Um diese Ziele noch besser voranzutreiben, wollen wir von zwei Staaten lernen, die als weltweite Vorreiter in den Bereichen E-Government und digitale Infrastruktur gelten. Deswegen reist eine acht-köpfige Delegation der Fraktion in der Pfingstwoche nach Estland und Finnland.

Bild von Tallin
Estland – Online-Staat und papierlose Regierung

Jeder Mensch in Estland spart im Schnitt eine Woche Arbeitszeit pro Jahr. Erreicht wurde das alleine durch die Umstellung der Verwaltung auf effizientere und digitale Strukturen. Ob Steuererklärung, Gesundheitsdatenbank oder sogar Wahlen: in Estland findet der Staat online statt. Das spart Zeit, Personal und schont die Umwelt. Denn Papier verbraucht die Regierung auch keines mehr. Selbst Gesetze unterzeichnet der Premierminister digital. Zwar lässt sich dieses Vorgehen nicht eins zu eins auf NRW übertragen, trotzdem freuen wir uns darauf, zu erfahren, wie elektronische Verwaltung und Regierung in Estland funktionieren. Dafür wird unsere Delegation unter anderem den „e-Showroom – Präsentationszentrum für Informations- und Telekommunikationstechnologien Estlands“ und das „E-Kabinett“ besuchen und sich mit Prof. Dr. Robert Kimmer, Professor für E-Governance an der TU Talinn, austauschen.

Finnland – Breitbandzugang für alle

Finnland war das erste Land der Welt, das 2010 ein Grundrecht auf Breitband-Internetzugang für alle Bürgerinnen und Bürger schuf. Noch in diesem Jahr soll der Ausbau des finnischen Glasfasernetzes soweit fortschreiten, dass 99 Prozent der Unternehmen und Haushalte nicht weiter als zwei Kilometer vom nächsten Anschlusspunkt entfernt liegen. Umgesetzt wird dieser gewaltige Netzausbau weitgehend durch private Unternehmen. Der Staat verpflichtet sie im Rahmen einer Universaldienstverpflichtung, Breitbandzugang zur Verfügung zu stellen. Er subventioniert nur da, wo die Unternehmen das Netz nicht wirtschaftlich ausbauen und betreiben können. Um das finnische System genau zu verstehen, besucht die Grüne Delegation unter anderem die zuständige Regulierungsbehörde FICORA und den Verband der finnischen Telekommunikationswirtschaft.

Folgt uns auf unserem Blog & unseren Social Media-Kanälen

Über die beiden Schwerpunktthemen E-Government und digitale Infrastruktur hinaus werden unsere Abgeordneten auch den Direktor des finnischen Datenschutzamts und Manager einer estnischen IT-Firma mit dem Schwerpunkt Cybersicherheit treffen. Natürlich besuchen sie nicht nur viele weitere Behörden und zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure, sondern auch die deutschen Botschaften sowie Vertreterinnen und Vertreter der GRÜNEN Partei Estlands. In unserem Blog und auf unseren Social Media Kanälen werden wir in der Pfingstwoche täglich über die wichtigsten Stationen und interessantesten Begegnungen des Vortages berichten.

Folgende MdL sind dabei
  • Mehrdad Mostofizadeh, MdL, Fraktionsvorsitzender
  • Stefan Engstfeld, MdL, stellv. Fraktionsvorsitzender
  • Matthi Bolte, MdL
  • Martin-Sebastian Abel, MdL
  • Wibke Brems, MdL
  • Karin Schmitt-Promny, MdL

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