Unsere Freiheit wiegt schwerer als Seehofers Populismus

Rede zum Datenschutz bei der geplanten PKW-Maut in der aktuellen Stunde am 6.11.

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zum Einstieg eine kurze Besserwisserei. Herr Schmitz, Sie sprachen eben von Tautologie und meinten – glaube ich – Alliteration. Eine Tautologie ist eine Aussage, die immer stimmt. Insofern ist Murks-Maut durchaus eine Tautologie.

Es gibt noch eine Aussage, die immer stimmt, nämlich die alte politische Weisheit: Keine Idee ist so schlecht, dass ein Bundesverkehrsminister von der CSU sie nicht noch verrückter machen könnte.

(Beifall von den GRÜNEN)

So sprechen wir hier und heute in dieser Aktuellen Stunde nicht nur über eine Pkw-Maut als infrastrukturpolitischen Irrweg. Wir sprechen nicht nur darüber, dass immer noch völlig offen ist, ob Seehofers Populismus von der Ausländermaut eigentlich europarechtskonform ist. Wir sprechen nicht nur über ein absurdes Bürokratiemonster. Wir sprechen auch – deshalb darf ich mich als Datenschützer in diese Debatte einschalten – über ein System, das geeignet ist, quasi im Vorbeifahren zu einer gigantischen Datenkrake zu werden.

Meine Damen und Herren, das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ist ein hohes Gut. Es ist ein so hohes Gut, dass es vom Bundesverfassungsgericht aus dem Schutz der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, zwei tatsächlich leitenden Gedanken im Katalog der Grundrechte, abgeleitet wurde. Dieses Grundrecht darf durch Gesetz eingeschränkt werden. Aber solche Einschränkungen müssen immer dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit genügen.

An dieser Stelle ergeben sich da doch erhebliche Zweifel. Es ist doch nicht verhältnismäßig, wenn alle Kontrolldaten bis zu 13 Monate gespeichert werden dürfen, wie das im Moment im Referentenentwurf vorgesehen ist. Wenn sich umfangreiche Bewegungsprofile von Fahrzeughaltern – teilweise auch von den sie begleitenden Personen – erstellt werden können, wenn der Grundsatz der Datensparsamkeit derart ad absurdum geführt und für eine Technologie konterkariert wird, die man so überhaupt nicht braucht, wenn 40 Millionen Autofahrerinnen und Autofahrer der konkreten Gefahr ausgesetzt sind, zum gläsernen Menschen zu werden, dann ist das doch nicht verhältnismäßig. Vor allem liegt es außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit, wenn alle diese Grundrechtseingriffe nur geschehen, damit Horst Seehofer endlich Ruhe gibt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kontrolldaten sollen laut Referentenentwurf erst gelöscht werden, wenn kein Erstattungsverlangen gestellt wird. Das ist über ein Jahr. So lange liegen die genauen Daten beim Bundesamt für Güterverkehr: Kennzeichen, Bild des Kraftfahrzeugs, Name und Anschrift des Fahrzeugführers. Da hat der hamburgische Datenschutzbeauftragte völlig recht, wenn er sagt, das Ganze sei völlig überzogen.

Herr Voussem hat vorhin gesagt: Der Datenschutz ist auch irgendwie wichtig. Und nebenbei haben Sie noch Leidenschaft eingefordert. Die Leidenschaft für den Datenschutz ist bei Ihnen von der CDU definitiv nicht zu Hause.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben eine klare Rechtsprechung zur Kennzeichenerfassung aus dem Jahr 2008 durch das Bundesverfassungsgericht. Da hat das Bundesverfassungsgericht für Recht erkannt, dass der Einsatz der Kennzeichenerfassung für Ermittlungszwecke zu Einschüchterungseffekten führen kann, zu Verhaltensänderungen, kurz: zu einer Einschränkung unserer Freiheit.

Wir sehen doch jetzt die Debatte: Schon die schiere Menge der vorhandenen Daten, wenn das alles so kommt wie geplant, wird Begehrlichkeiten wecken. Das hat man schon am Wochenende gesehen. Kaum lag der Referentenentwurf vor, kam der BKA-Präsident Jörg Ziercke und forderte, die Daten endlich auch für Ermittlungszwecke verwenden zu können. Das ist ein lang gehegtes Begehr.

Heute wird Herr Ziercke dann im dpa-Interview zitiert mit der Aussage:

„Durch die Debatte über Bürgerrechte und Datenschutz spüren wir einen hohen Rechtfertigungsdruck bei der Frage, was der Staat darf und was nicht.“

(Zuruf von den PIRATEN: Gott sei Dank!)

Da kann man sagen: Ja, Herr Ziercke, das ist eben Rechtsstaatlichkeit. Und dieser Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass er eben nicht alle Daten erfasst, dass er nicht alles tut, was technisch machbar ist, dass er nicht alles nutzt, was irgendwie nutzbar erscheint. Deshalb ist es so wichtig, für diese Rechtsstaatlichkeit einzustehen und alles zu verhindern, was den Rechtsstaat so massiv infrage stellt wie die unverhältnismäßigen Grundrechtseingriffe bei der Pkw-Maut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs einige Kritikpunkte benannt, über die ich nicht sprechen wollte. So kann ich abschließend nur an den Bundesverkehrsminister appellieren: Herr Dobrindt, wenn Sie sich schon nicht von der Kritik der Verkehrspolitiker überzeugen lassen, wenn Sie die Einwände der Europarechtsexperten in den Wind schlagen, dann hören Sie doch wenigstens auf die Datenschützer, auf diejenigen, denen unsere Freiheit, unsere Grundrechte am Herzen liegen! Denn unsere Freiheit, unsere Grundreche wiegen schwerer als die populistischen Wahlkampfhits des bayerischen Ministerpräsidenten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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