„Wir wollen sexualisierte Gewalt in den Fokus rücken“

RTEmagicC_Konstituierung_des_PUA_Silvesternacht.jpgAm 27. Januar hat der Landtag den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Silvesternacht 2015“ eingesetzt. Zur heutigen konstituierenden Sitzung habe ich als Sprecher im Ausschuss für unser Fraktionsblog ein Interview zu unseren Erwartungen an den Untersuchungsausschuss gegeben.

Worum geht es im Untersuchungsausschuss?

Matthi Bolte: In der Silvesternacht sind vor allem Frauen in Köln Opfer schlimmer sexualisierter und gewalttätiger Übergriffe geworden. Wir sind heute noch betroffen davon, dass es in jener Nacht nicht möglich war, die Menschen vor diesen Übergriffen zu schützen. Auch dass sich die Sicherheitsbehörden in der Folge durch ihre Kommunikation den Vorwurf der Vertuschung eingehandelt haben, wirkt bis heute nach. Wir mussten auch deshalb einen Vertrauensverlust in die Institutionen des Rechtsstaats erleben. Deswegen behandelt der Ausschuss einerseits konkret die Ereignisse der Kölner Silvesternacht, andererseits aber auch die innere Sicherheit in NRW insgesamt.

Wir GRÜNE werden zu einer sachlichen Aufklärung der Vorkommnisse der Silvesternacht beitragen. Das sind wir nicht allein den betroffenen Frauen schuldig. Auch die Hunderttausenden Menschen verdienen Aufklärung, die friedlich und in bester Absicht zu uns gekommen sind. Denn sie kamen auf der Flucht vor Gewalt, vielfach auch vor sexualisierter Gewalt und dürfen jetzt in der Diskussion um Tätergruppen nicht in Sippenhaft genommen werden, wie es die Rechtspopulisten und die Neonazis spätestens seit Silvester tun. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen, die bei uns Schutz suchen, zum zweiten Mal zu Opfern werden.

Welche neuen Erkenntnisse erwartest Du vom Untersuchungsausschuss?

Matthi Bolte: Auch wenn zumindest der Untersuchungsgegenstand zeitlich relativ eingegrenzt ist – andere Untersuchungsausschüsse behandeln nicht nur eine Einsatznacht, sondern teils jahrelange Vorgänge – sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt viele Fragen offen. Einige Beispiele: Warum wurden zusätzliche Polizeikräfte nicht angefordert, obwohl sie zumindest bei der Landespolizei zur Verfügung standen? Wie haben die einzelnen Tätergruppen zusammengefunden und wie waren sie zusammengesetzt? Warum wurde das neue Kriminalitätsphänomen im Vorfeld nicht erkannt? Wie lässt sich die verfehlte Kommunikation nach dem Einsatz erklären?

Ich gehe aber auch davon aus, dass wir verschiedene Vorwürfe sachlich entkräften können. Etwa in der Frage angeblich rechtsfreier Räume in NRW haben wir seit 2010 generell eine gute innenpolitische Bilanz vorzuweisen. Wir haben doppelt so viele Polizistinnen und Polizisten eingestellt wie die Vorgängerregierung. Dadurch sorgen wir für eine starke Präsenz des Rechtsstaats. Wir haben auch Stellen in der Justiz für beschleunigte Verfahren geschaffen, weil es wichtig ist, dass im Fall einer Tat die Strafe auf dem Fuße folgt.

Was werden die politischen Schwerpunkte der GRÜNEN sein?

Matthi Bolte: Aus meiner Sicht gibt es zwei politische Schwerpunkte für uns GRÜNE. Bisher ist in der öffentlichen Debatte sehr viel über angebliche Tätergruppen und die Verantwortlichkeiten der Behörden gesprochen worden, aber zu wenig über die Opfer. Deshalb ist für uns GRÜNE die Befragung von Expertinnen und Experten für die Betreuung von Opfern sexualisierter Gewalt ein zentraler Punkt der Aufklärungsarbeit. Wir wollen den Fokus auch auf den Umgang mit Betroffenen legen und am Ende des PUA bewerten können, ob die Hilfestrukturen in den Polizeibehörden ausreichend sind. Wir benötigen eine Debatte über eine bessere Prävention sexualisierter Gewalt, denn die gibt es in allen Schichten, Altersgruppen und Kulturen. Wir werden unseren Kampf verstärken, dieser Gewalt wirksam vorzubeugen. Dazu gehört aber auch, das Thema zu enttabuisieren und Mädchen und Frauen zu ermutigen, Taten anzuzeigen.

Darüber hinaus wollen wir die Organisations- und Fehlerkultur bei der Polizei thematisieren. Dabei geht es für uns um einen offenen Umgang mit Defiziten in der Einsatzplanung und -durchführung bei allen beteiligten Stellen, ohne die Arbeit der Polizei grundsätzlich infrage zu stellen. Wir wollen eine Polizei, die Bürgerinnen und Bürgern unbefangen und auf Augenhöhe gegenübertritt. Diese Kultur der Offenheit soll auch nach innen gelten: Probleme, neue Anforderungen und neue Kriminalitätsphänomene sollen offen thematisiert und diskutiert werden können.

Wie arbeitet so ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss eigentlich?

Matthi Bolte: Ein Untersuchungsausschuss arbeitet nach eigenen Regeln, die sich erheblich von denen für normale Landtagsausschüsse unterscheiden. Ein Untersuchungsausschuss hat in der Verfassung einen besonderen Rang. Er kann Zeugen unter Maßgaben vorladen und vernehmen, die mit einem Strafprozess vergleichbar sind. Er kann bei allen Behörden des Landes Akten anfordern und hat weitere, umfangreiche Rechte.

Wie ein Ausschuss dann konkret arbeitet, hängt auch stark vom Untersuchungsgegenstand ab. So findet die Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss zum Bau- und Liegenschaftsbetrieb stark auf Basis von Akten statt. Bei uns werden Zeugenvernehmungen im Vordergrund stehen. Die zu ladenden Zeuginnen und Zeugen werden vom Bundesinnenminister und dem Präsidenten der Bundespolizei bis zu Vertreterinnen und Vertretern von Opferschutz- und Hilfestrukturen für Betroffene von sexualisierter Gewalt reichen.

Geladen werden vor allem auch Behördenvertreterinnen und Behördenvertreter, denn es gab verschiedene an der Planung, der Durchführung und der Nachbereitung des Einsatzes in der Silvesternacht beteiligte Behörden und Stellen, deren jeweilige Perspektiven wir nachvollziehen müssen. Nur so können wir herausfinden, wo Fehler passiert sind und wie wir es in Zukunft besser machen.

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