Der Satz, den ich inzwischen im Haustürwahlkampf am häufigsten gehört habe, lautet „Ach, Sie machen das ja wirklich mit den Hausbesuchen!“, dicht gefolgt von „Da steht ja wirklich der Kandidat selbst vor der Tür!“. Ja und ja – wir Grüne machen das wirklich, haben schon einige Tausend Klingeln in Bielefeld gedrückt und ja, wann immer es in den Zeitplan passt, laufe ich auch selber mit.
Das Gute am Haustürwahlkampf sind nicht nur viele lustige und schöne Begegnungen mit positiven Rückmeldungen. Es ist auch gut, mit Menschen sprechen zu können, die gerade zweifeln, ob die Grünen noch die richtige Partei für sie sind. So eine Begegnung hatte ich am Samstag im Bielefelder Westen. Ein Herr, bei dem Christina Osei und ich klingelten fragte, ob wir Doppelkopf spielten. Wir beide bejahten und der Herr fragte, ob uns die Regel „Genschern“ (wer beide Karo-Könige hat, kann beim Ausspielen des zweiten die Partei wechseln) kennen würden. Wir kannten sie natürlich und der Besuchte meinte, die Beliebigkeit, die man Genscher bei seiner Wende 1982 vorgeworfen hatte, würde doch inzwischen genauso auf die Grünen zutreffen.
Dass das nicht so ist, haben wir dann, natürlich immer noch auf halber Treppe stehend, versucht klarzumachen. Nur mit uns Grünen wird es einen verbindlichen Kohleausstieg geben, der notwendig ist, um unseren blauen Planeten zu retten. Denn wir sind die erste Generation, die den Klimawandel zu spüren bekommt, aber die letzte, die ihn aufhalten kann. Nur mit uns gibt es eine Politik mit Haltung, die dem gesellschaftlichen Druck nach Rechts nicht nachgibt, sondern für eine offene Gesellschaft einsteht – und den Gegenwind nicht einfach nur aushält, sondern in Energie verwandelt. Nur mit uns gibt es Schutz für die Freiheitsrechte und Sicherheit ohne Sicherheits-Placebos. Nur mit uns gibt es echte Gleichstellung, und um die durchzusetzen, legen wir uns gerne mit gut organisierten Interessengruppen an. Nur mit uns gibt es Schutz für die Natur, die in unserem Industrieland diesen Schutz so bitter nötig hat. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Klar ist: Genschern steht nicht auf unserem Spielplan.
Bei der Begegnung im Treppenhaus fiel aber noch ein Satz, denn als der Herr fragte, ob wir Doppelkopf spielen könnten, sagten Christina und ich gleichzeitig: Aber ohne Neunen! Wer damit jetzt nichts anzufangen weiß: Beim Doppelkopf gibt es relativ enge Regeln, wann man eine Karte bedienen muss. Die Neunen, die als einzige Karten keinen eigenen Wert haben, helfen in kritischen Situationen, weil man sie werfen kann ohne Punkte zu verlieren. Ohne Neunen hat man keine Pause, muss taktischer spielen und hat in jedem Stich eine größere Fallhöhe.
In diesem Sinne spielen die Grünen in NRW gerade ohne Neunen. Es geht um verdammt viel: Es geht um den Wiedereinzug in den Landtag und dabei nicht nur um Parlamentssitze, sondern darum, dass sich zumindest eine parlamentarische Gruppe den Populisten entgegenstellen muss. Es geht darum, wer mit der SPD regiert, damit es nicht zu einer Rot-Marktradikalen Koalition oder einer Stillstands-GroKo kommt. Darum, dass die Umweltpolitik nicht rückabgewickelt werden darf oder darum, dass das Menschenrecht auf Inklusion nicht in Laschets und Lindners „Moratorium“ eine Beerdigung zweiter Klasse erfährt. Es geht um unsere Freiheit, um das Lebensgefühl des 21. Jahrhunderts, in dem es für Menschen meiner Generation egal ist, wo das Gegenüber oder sie selbst gerade herkommen oder wo sie sich befinden, solange sie den WLAN-Schlüssel haben.
Die Zeiten, in denen wir uns einfach so abwerfen konnten, sind vorbei. Sehen wir das als Herausforderung. Wachsen wir daran. Es gibt so viele in dieser Welt, für die es sich zu kämpfen lohnt und für die niemand kämpft außer uns.
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