Plenarrede vom 19.6. zum Gesetzentwurf der Piratenfraktion
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat heute Mittag gesagt: Mit dem Internet betreten wir alle Neuland! – Herzlich willkommen im 21. Jahrhundert, Frau Bundeskanzlerin!
(Beifall von den PIRATEN)
Gerade vor dem Hintergrund, dass wir eine Bundesregierung haben, die nicht nur sich selbst netzpolitisch, sondern auch Deutschland insgesamt als Technologiestandort blamiert, wenn sie so etwas vor der versammelten Weltpresse verkündet, ist es umso notwendiger, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen und weiterzuentwickeln. Deswegen ist es heute schon ein Gewinn, dass wir über das Thema „Transparenz und Informationsfreiheit“ auf einem etwas höheren Niveau beraten können.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Vielen Dank!)
Ich möchte allerdings schon zur Einordnung nach den vielen salbungsvollen Worten, die unser Kollege Frank Herrmann gefunden hat, etwas zu Stil- und Haltungsfragen äußern. Herr Kollege Herrmann, Sie haben Hamburg angesprochen. Der Prozess dort war natürlich gut und hat zu einem guten Transparenzgesetz geführt. Das habe ich immer so gesagt. Der Prozess war vor allem auch deshalb so gut, weil sich die beteiligten Parteien – die Piraten, die Grünen und einige weitere waren dabei – durchaus im Hintergrund gehalten haben und einem breiten Bündnis im Wesentlichen aus Mehr Demokratie, Transparency und dem CCC die Vorderbühne überlassen haben. So etwas Ähnliches hätte ich mir auch für den Prozess hier in NRW gewünscht.
Schaut man sich das Vorblatt zu Ihrem Gesetzentwurf an, liest man dort, dass es Gesetzentwürfe aus verschiedenen Ländern gibt und die Piraten gibt, wobei das Thema immer schon ein „piratiges“ Thema gewesen sei. – Sie versuchen, bestehende Initiativen für sich zu vereinnahmen. Das empfinde ich als einen sehr schwierigen Vorgang.
Zweite Haltungsfrage: Sie haben „NRW blickt durch“ angesprochen. Das ist eine Initiative, die Sie und wir begrüßt haben. Es ist aber auch eine Initiative, die einen Gesetzentwurf in einem sehr partizipativen Verfahren entwickelt hat. Diesen Gesetzentwurf will sie uns in drei oder vier Wochen vorstellen und dem Landtag übergeben. Wenn Sie jetzt mit einem eigenen Gesetzentwurf kommen, muss man schon fragen: Warum legen Sie Ihren Gesetzentwurf gerade jetzt vor? Liegt das daran, dass Sie sowieso glauben, es besser zu wissen? Oder liegt es daran, dass bald Bundestagswahl ist? Vielleicht erklären Sie uns das heute einmal.
Aber, meine Damen und Herren, es ist auch nicht so, als wäre nichts passiert. Nordrhein-Westfalen bekommt eine Open-Government-Strategie. Es gibt ein Eckpunktepapier für diese Open-Government-Strategie. Und es gab dazu einen sehr interessanten Prozess, der jetzt fortgesetzt wird. Ich fand, das Open.NRW-Forum am 17. Mai war ein unglaublich tolles Ergebnis: Der Saal hier war bis auf den letzten Platz gefüllt, und es gab ein unheimlich breites Interesse am Thema „Open Government“. Es ist doch völlig klar, dass ein solcher Tag nicht folgenlos bleibt. Es hieß doch nicht „Schön, dass wir einmal darüber geredet haben“, sondern das war gelebtes Open Government, gelebte Beteiligung.
Meine Damen und Herren von der Piratenfraktion, das alles mag Ihnen zu langsam gehen; aber ich glaube, der Prozess ist, wie wir ihn angelegt haben, durchaus richtig. Es macht Sinn, wie wir ihn angelegt haben. Schauen wir wieder nach Hamburg: Dort gibt es ein Transparenzgesetz mit sehr langen Übergangszeiträumen, um viele technische und rechtliche Details, die dort ungeklärt waren, zu klären. Wir haben den Prozess dadurch sinnvoller angelegt, dass wir mit der interministeriellen Arbeitsgruppe „Open.NRW“ schon bestimmte Vorarbeiten geleistet haben.
Meine Vorredner haben schon einige Baustellen benannt, die ich in weiten Teilen ähnlich sehe und die man im weiteren Verfahren beseitigen muss. Ich gehe davon aus, dass Sie es nicht ohne Grund unterlassen haben, in das Vorblatt zu Ihrem Gesetzentwurf den Punkt „Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung“ nicht aufzunehmen. Sie haben diese Frage zwar angesprochen, aber wirklich beantwortet haben Sie sie nicht. Man muss die Frage, wie weit wir die Kommunen bei der Veröffentlichung von Informationen einbeziehen können, ganz zentral klären. Dazu haben Sie ein paar Anhaltspunkte geliefert. Ich glaube, dass man das in der weiteren Diskussion vertiefen muss.
Die Fragen, um die es dort geht, gab es vor zwölf Jahren, als das IFG gemacht wurde, auch schon: Wie weit wird in die kommunale Selbstverwaltung eingegriffen? Es geht dabei nicht nur um die Frage von Kosten und Konnexität, sondern auch darum, was genau das Land unter welchen Modalitäten vorschreiben kann. Es geht auch um Daten kommunaler Eigenbetriebe und ähnliche Fragen. Herr Kollege Sieveke hat auf die Kostenfrage hingewiesen. Über die Kosten muss man natürlich auch sprechen, und zwar nicht auf der Suche nach Totschlagargumenten, sondern auf der Suche nach verantwortungsvollen und verantwortungsbewussten Lösungen.
Mehrere Vorredner haben das Thema „Verwaltungskultur“ angesprochen. Wenn wir über dieses Thema sprechen, müssen wir die Beschäftigten mitnehmen. Auch an der Stelle haben wir uns auf einen guten Weg gemacht.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bolte, ich darf Sie kurz unterbrechen.
Matthi Bolte (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Daniel Düngel: Der Kollege Marsching würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie die zu?
Matthi Bolte (GRÜNE): Gerne.
Vizepräsident Daniel Düngel: Dann hat der Kollege Marsching das Wort.
Michele Marsching (PIRATEN): Vielen Dank, Kollege Bolte, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade wie auch der Kollege Sieveke schon die Kosten angesprochen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es von der dortigen Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen ebenfalls den Vorschlag zu einem Transparenzgesetz, in dem die dortige Landtagfraktion – ich zitiere – sagt:
„Den laufenden Kosten für die Umsetzung … stehen Einsparungen aufgrund der wegfallenden Antragsbearbeitung gegenüber.“
Der wichtige Satz lautet:
„Es ist daher davon auszugehen, dass sich das Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetz kostenneutral umsetzen lässt.“
Meine Frage dazu: Stimmen Sie für Nordrhein-Westfalen einer solchen Kostenfolgeabschätzung aus Mecklenburg-Vorpommern zu oder eher nicht zu?
Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Kollege Marsching, vielen Dank für diese sehr relevante Frage. Ähnliche Formeln standen, wie Sie feststellen werden, wenn Sie sich die alten Unterlagen ansehen, auch in den Kostenfolgeabschätzungen zum IFG, als es 2001 gemacht wurde.
Ich kenne die konkrete Verwaltungsstruktur von Mecklenburg-Vorpommern zu wenig, um sie in dieser Hinsicht beurteilen zu können. Inwieweit die Struktur von Mecklenburg-Vorpommern auf Nordrhein-Westfalen zu übertragen ist, kann ich erst recht nicht beurteilen. Insofern sehen Sie es mir nach, dass ich das nicht hundertprozentig beurteilen kann.
Aber natürlich wird in Open-Data-Diskussionen – Sie führen sie intensiv, ich führe sie auch intensiv – immer wieder das Argument vorgebracht, dass man gucken muss: Was steht auf der einen Seite? Was steht auf der anderen Seite?
Deshalb habe ich gerade ganz bewusst gesagt: Wenn man die Kostenfrage stellt, darf man sie nicht stellen, um ein Totschlagargument zu haben, sondern man muss diese Frage stellen, weil es einfach verantwortungsvolle Finanz- und Haushaltspolitik bedeutet, wenn man sich vorher fragt: Was kostet es, wenn ich das so oder so oder anders mache? – Das war eigentlich mein Wunsch. Ich habe, wie gesagt, nicht versucht, in der ersten Lesung Totschlagargumente herbeizureden. Das wäre völlig unseriös.
Sie haben es in Ihrem Gesetzentwurf richtigerweise geschrieben: Man kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht genau sagen, was Ihr Gesetzentwurf, der Gesetzentwurf der Initiative „NRW blickt durch“ – den wir in die Beratungen sicherlich ebenfalls aufnehmen werden – oder möglicherweise ganz andere Formeln kosten würden. Wir sind jetzt noch am Beginn des Beratungsprozesses – es freut mich, dass Sie das mitschreiben –, sodass es schwierig ist, seriös zu sagen, was auf der einen und was auf der anderen Seite dabei herauskommt.
Wenn die Kollegen das für Mecklenburg-Vorpommern durchgerechnet haben, wird das wahrscheinlich so sein; das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, wie intensiv Sie sich mit der Landtagsfraktion der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern ausgetauscht haben. Ich werde das zum gegebenen Zeitpunkt natürlich nachholen. Dann müssen wir diese Diskussion seriös führen, so, wie wir Haushaltsfragen seriös beantworten, bevor wir Gesetze machen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt haben wir viel über Details gesprochen. Ich will aber durchaus noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem machen, was eigentlich vor uns liegt. Als wir 2001 in Nordrhein-Westfalen das Informationsfreiheitsgesetz gemacht haben – wie gesagt, damals mit vielen vergleichbaren Fragestellungen –, war das ein riesiger Schritt.
Aber es geht einfach darum, den Zugang zu Informationen der Verwaltung, der ein wichtiger Bestandteil im demokratischen Prozess ist, weiterzuentwickeln. Ich glaube, viele, die 2001 dabei waren, sind heute begeistert von den Chancen, die uns die Digitalisierung zur Weiterentwicklung und zur vollständigen Verwirklichung der Gedanken von Transparenz und Informationsfreiheit liefert. Das wollen wir natürlich im Sinne der Philosophie des Open Government weiterentwickeln.
Im Koalitionsvertrag haben wir uns dazu auf einiges eindeutig verständigt. Wir haben die Formel gefunden: Das IFG wird zu einem Transparenzgesetz unter dem Stichwort „Von der Holschuld der Bürgerinnen und Bürger zu einer Bringschuld der Verwaltung“ weiterentwickelt.
Wie wir das organisieren, wird ein ganz spannender Prozess, in dem der vorliegende Gesetzentwurf – das habe ich hier angesprochen – eine Rolle spielen wird, in dem aber auch eine Reihe von Projekten aus der Zivilgesellschaft, die wir sehr ernst nehmen wollen, eine Rolle spielen werden. Das werden wir in die Debatte einbeziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird eine spannende Diskussion. Ich glaube, wir haben viel Inspirierendes. Ich habe auch wahrgenommen, dass die erste Lesung bei den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen auf großes Interesse gestoßen ist. In diesem Sinne lassen Sie uns offen und interessiert an die Debatte herantreten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
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